Als tihu (pl. tithu) bezeichnen die Hopi kleine bemalte Figuren aus dem Wurzelholz der Cottonwood-Pappel (Populus freemontii), die den verschiedenen Katsinam nachgebildet sind. Im Englischen werden sie meistens als „kachina dolls“ (Katsina-Puppen) bezeichnet, was ihrer kulturellen Bedeutung jedoch nur ungenügend entspricht. Deshalb soll in diesem Katalog alternativ von Katsina-Figuren oder tithu gesprochen werden. Tihu heißt gleichzeitig Kind und bezeichnet sowohl eine kleine Tochter wie einen kleinen Sohn. Um die doppelte Bedeutung des Wortes zu verstehen, muss man wissen, zu welchem Zweck die kleinen Figuren ursprünglich hergestellt wurden und noch immer geschnitzt werden.
Bei den großen Katsina-Zeremonien des Jahreskreislaufs, dem Powamuya im Februar und dem Nímaniw im Juli, bringen die tanzenden Katsinam den jüngeren Kindern Geschenke. Die Jungen erhalten kleine bemalte Bögen mit Pfeilen, bemalte Miniaturrasseln und hölzerne „Blitzstäbe“. Die Mädchen erhalten stattdessen Katsina-Figuren und kleine geflochtene Korbteller. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass die Hopi-Kinder generell Katsina-Figuren geschenkt bekämen. Von wenigen Ausnahmefällen abgesehen sind die tithu für die Mädchen bestimmt, die noch nicht in die Katsina-Religion initiiert worden sind. Nur in wenigen Dörfern erhalten auch männliche Säuglinge die flache Figur von Hahay´i. Eine frischverheiratete Frau bekommt beim ersten Niman-Tanz nach der Hochzeit eine Hahay´imana-Figur geschenkt, und selbst ein uraltes Mütterchen wird manchmal beim Powamuya durch eine solche Gabe besonders geehrt.
Es gibt einen zweiten weit verbreiteten Irrtum hinsichtlich der Funktion von Katsina-Figuren. Oft wird geschrieben, die Figuren, die zuhause an die Wände gehängt werden, würden die Kinder mit dem Aussehen und den Eigenschaften der verschiedenen Katsinas vertraut machen. Ein Hopi-Gesprächspartner von Ekkehart Malotki wies diese pädagogische These ausdrücklich zurück und erläuterte, dass man als Kind die Katsinam durch die unmittelbare und intensive Anschauung bei den Tänzen viel besser kennen lernt. Er schloss mit den lapidaren Worten: „Ein tihu hängt einfach an der Wand, und als kleiner Junge schenkt man ihm nicht viel Aufmerksamkeit“ (Malotki 1991:60, Übersetzung des Verfassers).
Die Katsina-Figuren sind zwar keine sakralen Objekte im engeren Sinne, aber als Geschenk der heiligen Katsina-Wesen an die Hopi-Mädchen betonen sie die spirituelle Bindung zwischen Menschen und Katsinam. Die noch nicht initiierten Kinder glauben, dass die Katsinam die Schnitzwerke selbst in der Kiva für sie hergestellt haben. Von ganz besonderer Bedeutung ist der Aspekt der Fruchtbarkeit. In den Tagen vor dem Tanz schnitzen die Väter die Figuren heimlich für ihre Töchter, und das tihu, das der Katsina dem kleinen Mädchen dann überreicht, ist wie ein Kind (tihu). Das Geschenk soll gewährleisten, dass das Mädchen gesund aufwächst und später selbst gesunde Kinder bekommen wird.
Dies ist auch der Grund dafür, warum die Herstellung von tithu zum Verkauf früher als qahopi (falsch, nicht hopigemäß) kritisiert wurde und zum Teil immer noch beargwöhnt wird, zumindest in der Theorie. Der traditionellen Auffassung nach veräußert jemand, der eine Katsina-Figur verkauft, gewissermaßen sein eigenes Kind. Parallel zur Assoziation des tihu mit weiblicher Fruchtbarkeit, repräsentieren die bemalten hölzernen Blitzstäbe, die den Jungen geschenkt werden, den Regen, und die Gabe von Pfeil und Bogen nimmt symbolisch die spätere Rolle des Mannes als Ernährer vorweg.
Sein erstes tihu erhält ein Mädchen bei der ersten Powamuy- oder Niman-Zeremonie nach der Geburt. Es ist praktisch immer eine flache Figur der Hahay´i bzw. Hahay´iwùuti. Sie gilt als Mutter aller Lebewesen und der Katsinas, und ihre mütterliche Güte und Freundlichkeit soll auf das Kind übergehen. Die nächsten beiden Figuren, die den Mädchen geschenkt werden und mit denen sie spielen können, stellen üblicherweise Hanomana und Sa´lakwmana dar.
Autor: Hans-Ulrich Sanner
Katalog: Katsinam, 2000, S.95